Montag, 24. Juli 2017

Woche Sechzehn: Time to say goodbye

Mit dem heutigen Tag istt meine letzte Woche hier in Indien angebrochen. Zwei Tage verbleiben mir noch im Projekt, bevor meine beiden Mitfreiwilligen, Joelle und Luca, und ich nach Bangalore aufbrechen, weil für sie eine Quarter Time Evaluation ansteht. Dieser Evaluation werde ich nicht beiwohnen dürfen, aber dennoch dachte ich, es wäre schöner, gemeinsam die Strecke, die ich über kurz oder lang ja sowieso werde zurücklegen müssen, da am 31. Juli um 3.00 Uhr morgens mein Flug von Bangalore zurück nach Frankfurt geht, zu reisen und noch ein paar letzte Tage gemeinsam zu verbringen. Vorbereitungen muss ich kaum noch welche treffen, die Tasche ist nahezu vollständig gepackt, die letzten Reisegeschenke besorgt und nur das Fragen nach den Rezepten indischer Gerichte steht noch an.

Der Sri Varadharaja Perumal-Tempel in Kanchipuram

So viel zur kommenden Woche. In der vielen Zeit, die ich hatte, hab ich natürlich häufig darüber nachgedacht, wie ich mich nach meiner Rückkehr verändert haben werde, ob und wie ich an den Herausforderungen gewachsen sein werde, welche Erfahrungen ich gemacht haben werde, aber auch, welchen Einfluss ich auf die Menschen ausgeübt haben werde, denen ich begegnet bin, ob in meiner Gastfamilie, im Projekt oder auf der Straße. Habe ich mich als Gast korrekt verhalten oder werden es neue Freiwillige schwer haben, weil ich mich falsch verhalten und somit ein negatives Bild von (deutschen) Freiwilligen geboten habe? Ist meine Gastfamilie nach den Erfahrungen überhaupt bereit, neue Freiwillige aufzunehmen, waren Luca und ich doch die ersten? Hab ich eventuell ihr Interesse an fremden Ländern und Menschen, was sehr schön wäre, geweckt?

Kmasutrra-Reliefs im 100-Säulen-Mandapam
Nun, ich bin sicher, mich zumindest nicht allzu falsch verhalten zu haben, sodass ich zuversichtlich bin, dass meine Familie neue Freiwillige aufnehmen wird (allerdings muss ich noch erfragen, ob dies schon zur nächsten Sommerausreise, die quasi mit meiner Abreise in das Land kommt, der Fall ist), und diese auch die Möglichkeit erhalten, sich wohlzufühlen. Jedoch habe ich wenig Hoffnung, dass aus meinen Gasteltern die nächsten Globetrotter werden (übertrieben ausgedrückt), denn von den wirtschaftlichen Gesichtspunkten einmal abgesehen, die das Bereisen fremder Länder für Nichteuropäer verdammt schwierig machen, und weshalb wir uns aufgrund unserer Privilegiertheit diesbezüglich wirklich glücklich schätzen können, glaube ich nicht, dass die Fremde überhaupt einen Reiz auf sie ausübt. Sie wirken zufrieden in ihrer kleinen Welt, deren Grenzen hinter Chennai enden. Auch meinem älteren Gastbruder würde ich dergleichen nicht zutrauen, in der Tat habe ich in den vergangenen vier Monaten nicht einmal erlebt, dass er überhaupt für ein paar Tage nicht da war, aber es wäre ja auch zu unbequem, auf die Privilegien des Erstgeborenen verzichten und sich stattdessen an neue Gepflogenheiten anpassen zu müssen. Einzig mein jüngerer Gastbruder, Abu, der für FSL arbeitet und die treibende Kraft dahinter gewesen ist, uns zu beherbergen, wirkt, als könne er es kaum erwarten, die Welt zu sehen. Ihm würde ich es zutrauen, mal nach Deutschland zu reisen, was mich sehr freuen würde. Generell hab ich den Eindruck, dass die beiden Brüder unterschiedlicher kaum sein könnten, trotz ähnlicher Voraussetzungen. Auf der einen Seite Sudharshan, der ältere, 33, bereits verheiratet, hat kürzlich seine Doktorarbeit in „Social Work“ abgegeben. Er gibt den Vorsänger in der Kirche, sieht gerne fern und lässt sich gerne bedienen. Zwar spricht er Englisch, doch kommuniziert er höchst selten mit mir und auch dann eher in einem grummeligen Unterton. Kurz, er macht einen eher griesgrämigen Eindruck. Auf der anderen Seite Ambedkar, genannt Abu, 29, der für FSL mit überwiegend koreanischen Freiwilligen arbeitet, eher zurückhaltend ist, gelegentlich den Gottesdienst schwänzt, seine hinduistische Freundin vor seinen Eltern verheimlicht und einem immer mit Rat und Tat beiseite steht, wenn er nicht gerade wochenlang für FSL unterwegs und somit faktisch „verschollen“ ist, weil seine Familie keine Idee hat, wo er sich gerade aufhält. Aber all das ist nicht schlimm, denn sie alle sind sehr gastfreundliche und herzliche, und ich bin mir sicher, wenn da die Sprachbarriere nicht wäre, hätte ich sicherlich noch mehr schöne Momente mit meiner Familie verbringen können, was ich im Nachhinein etwas schade finde.

Meine Gastfamilie (bis auf die Außen stehenden Kinder, die sind aus der Nachbarschaft)
Auch wenn es nicht immer danach geklungen haben mag, ist Indien ein großartiges Land. An jeder Ecke gibt es etwas neues zu entdecken, jeder Landstrich hat eine eigene Geschichte, eigene Dialekte oder gar Sprachen und eigene kulturelle Eigenschaften. Darauf sind viele Inder, denen ich begegnet bin, sehr stolz. Im Falle der Tamilen lässt sich das daran erkennen, dass ihre politischen Parteien lange Zeit für die Gründung einer von Indien unabhängigen dravidischen Union eintraten und sich die moderne Legende hält, der indische Premier Modi habe ausgesagt, Tamil sei „die schönste Sprache Indiens“, was mir doch etwas übertrieben vorkam. Übrigens wurde die dravidische Union nur von tamilischen Politikern gefordert, in anderen dravdischen Staaten fand die Idee hingegen wenig Anklang.

Dass es für mich nun bald nach Hause geht, betrachte ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Es gibt noch so vieles für mich zu entdecken, der indische Subkontinent bietet alleine genug Orte, die eine Reise wert sind, um ihn ein bis zwei Jahre ununterbrochen zu bereisen. Aber ich freue mich auch schon unheimlich auf zu Hause, auf die Menschen, die mir etwas bedeuten, darauf, wieder Musik machen zu können und nicht immer nur Reis zu essen und auf gemäßigtere Temperaturen. Und nicht zu vergessen, die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn.

Achja, und keine Sorge, ein ausführlicheres Résumé wird folgen, sobald ich wieder im „wunderbaren Deutschland“ bin.

Der Herr der Fliegen (und Kälber)

Montag, 10. Juli 2017

Woche Vierzehn: Die tamilische Küche

Nun da sich mein Aufenthalt in Indien langsam dem Ende zuneigt, möchte ich von der tamilischen Küche erzählen, die einen großen Teil der tamilischen Kultur ausmacht und eine wichtige Rolle im Alltag spielt.

Idli mit Kokoschutney und Sambar

Kommen wir zuerst zu den Räumlichkeiten, in denen – in der Regel – die tamilische Hausfrau das Essen für die Familie vorbereitet. Tatsächlich habe ich nur wenige Male meinen Gastvater in der Küche stehen sehen, und selbst das dürfte eher die Ausnahme darstellen, da dieser bereits pensioniert ist und somit viel Zeit besitzt, um sich derartigen Aufgaben zu widmen. Von meinem älteren Gastbruder habe ich solches noch nie erlebt, er nimmt in der Tat in der Familie eher die Rolle eines kleinen Paschas ein, und selbst mein jüngerer Gastbruder verbringt wenig Zeit in der Küche, wobei eingewandt werden muss, dass dieser viel unterwegs ist und somit wenig Zeit hätte, sich um das Essen zu kümmern, würde er dies wollen. Im Gegensatz dazu steht meine Gastmutter einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit am Herd, von ihrem Mann nur im Schnippeln von Gemüse unterstützt. Kurz gefasst, Kochen ist, wie das Schmeißen des Haushalts allgemein, in Tamil Nadu Frauensache, und nicht selten sorgte es für Verwunderung,wenn Luca seiner Absicht kundtat, in der Küche helfen zu wollen.

Ein Dosai mit Kartoffelcurry, Kokoschutney und Sambar

In der Küche befindet sich bemerkenswerter- und für mich überraschenderweise kein Ofen, sondern in der Regel nur ein Gasherd, auf dem alle Gerichte zubereitet werden. Diese Tatsache und der Wunsch nach im Ofen Gebackenem ließ bereits in vielen Freiwilligenhirnen die Idee reifen, selbst einen Ofen zu bauen. Allerdings war meines Wissens noch niemand mit der Durchführung dieses Plans erfolgreich. In den umliegenden Schränken sind Teller, Becher, Töpfe, Dosen in einem wilden Durcheinander gesammelt, wobei der große Teil aus Blech ist. Ebenso findet sich kein Besteck, da in Indien mit der rechten (und ausschließlich mit der rechten!) Hand gegessen wird. Dies sorgte nicht selten für höllische Schmerzen, wenn das Essen direkt aus dem Topf auf den Teller kam, ohne vorher abzukühlen. Die meisten der Zutaten werden nicht gelagert, sodass der Kühlschrank aus meiner Sicht erstaunlich leer ist. Dazu muss aber gesagt werden, dass, abgesehen von Milch und eventuell Joghurt, keine Zutaten verwendet werden, die schlecht werden können, da die Gerichte zum einen quasi nur aus Gemüse bestehen und zum anderen in der Regel jeden Morgen direkt auf dem Markt gekauft werden.

Womit wir auch schon beim eigentlichen Thema wären: Den Gerichten und ihren Zutaten. Absolute Grundlage tamilischer Gerichte ist, wie eigentlich überall auf dem Subkontinent, Reis. Er ist im Prinzip, mit wenigen Ausnahmen, Bestandteil jeder Mahlzeit. Das klingt jetzt erst einmal sehr monoton und wenig abwechslungsreich, allerdings bin ich bis heute überrascht, auf wie viele unterschiedliche Arten Reis zubereitet und serviert werden kann.

Poori mitsamt Kartoffelcurry

Fangen wir an mit dem Frühstück. Dies besteht in der Regel aus Idli oder Dosai, die mit unterschiedlichen Chutneys gereicht werden. Gelegentlich gibt es auch Chapati, Poori oder Vadai. Idli und Dosai werden beide aus einem Gemisch aus Reis, Urdbohnen und Wasser hergestellt, das gemahlen und dann über Nacht stehen gelassen wird, damit es fermentiert. Idli sehen dabei aus wie kleine Küchlein, die die Form eines Elipsoids haben. Dosai hingegen sind letztlich wie Crêpes, nur aus dem oben beschriebenen Gemisch. Normalerweise werden sie mit Kokoschutney serviert, doch gibt es auch bei Chutneys eine hohe Vielfalt an unterschiedlichen Geschmacks- und Zubereitungsarten. Chapati, Poori und Vadai werden aus Mehl hergestellt. Chapati kommen dabei Crêpes noch näher als Dosai, wobei sie eher mit der herzhafteren Variante, den Galettes, zu vergleichen sind. Sie kann man zu allem servieren, wobei sie besonders in Kombination mit einem pikanten Kartoffelcurry ausgesprochen lecker sind. Poori sind sehr dünn gebackene Fladenbrote, die ebenfalls sehr gerne mit genanntem Kartoffelcurry kombiniert werden. Vadai dagegen sind Donuts ähnliche, frittierte Teigringe, die sich vor allem gut als Snack machen.

Chicken Biryani

Ein typisches Mittag- oder Abendessen besteht tatsächlich überwiegend aus Reis als Hauptspeise, der mit diversen Saucen wie Sambar, einer dicken Gemüsebrühe, oder Rasam, das deutlich dünner ist. Nicht selten gibt es auch Biryani oder Veg. Fried Rice, die sich in der Zusammensetzung sehr ähnlich sind. Biryani wird jedoch etwas anders gewürzt und meines Wissens zumindest in meiner Gastfamilie aus einer anderen Art Reis gemacht. In der Regel gibt es dazu Geflügel oder Lamm, seltener wird Biryani mit Ei oder vegetarisch gegessen. Fleisch insgesamt spielt im Verzehr nur eine untergeordnete Rolle, je nach Glauben wird gar nicht bis wenige Tage in der Woche, meist am Wochenende, Fleisch konsumiert. Dabei gilt es aber zu beachten, dass Fleisch in Indien weniger ein alltägliches Konsum-, als vielmehr ein Luxusgut ist, dessen Verzehr eine Besonderheit darstellt.

Getrunken wird überwiegend Wasser, wobei man sich vor Leitungswasser in Acht nehmen muss, da dieses häufig nur unzureichend bis gar nicht gereinigt ist und so Keime überträgt. Aus diesem Grund stehen in vielen Häusern Umkehrosmose-Geräte, die das Trinkwasser filtern. Da diese jedoch nicht gerade billig sind, werden weiterhin 20-Liter-Kanister mit abgepacktem Wasser verkauft, die im Haus aufgestellt werden. Zwischen den Mahlzeiten wird dagegen recht häufig Kaffee getrunken, der allerdings, wie alle gesüßten Lebensmittel in Indien, viel zu süß ist. Seltener gibt es Tee (Chai), der vor allem in den anderen Staaten Indiens verbreitet ist, sich in Tamil Nadu jedoch deutlich geringerer Beliebtheit erfreut.


Sambar

Von all diesen Gerichten habe ich besonders Biryani, Dosai und Chapati ins Herz geschlossen, wobei ihr Genuss steht und fällt mit den Beilagen, mit denen sie serviert werden. Hierbei sind insbesondere das Kokoschutney und das Kartoffelcurry erwähnenswert. Diese Rezepte hoffe ich natürlich, nach Deutschland mitnehmen und dort nachkochen zu können.

Samosa