Mittwoch, 31. Mai 2017

Woche Achteinhalb: Der Mythos des Sisyphos

« La lutte elle-même vers les sommets suffit à remplir un cœur d'homme. Il faut imaginer Sisyphe heureux. » - Albert Camus, Le mythe de Sisyphe, p. 168

Mit dem heutigen Tag liegen genau acht Wochen und fünf Tage hinter mir, und noch einmal die gleiche Zahl an Tagen vor mir: Es ist Halbzeit meines 17-wöchigen Freiwilligendienst. Meines Erachtens Grund genug, ein Zwischenresümee zu ziehen. Dabei möchte ich vor allem versuchen, in Worte zu fassen, wie ich mich während der ersten Zeit gefühlt habe und wie sich dies zwischenzeitlich verändert hat.

Sonnenuntergang in Mahabalipuram.
Die ersten Wochen waren geprägt davon, neue Eindrücke zu sammeln, irgendwie zu versuchen, in diesem neuen, riesigen und chaotisch-fremden Land zurechtzukommen. Das empfand ich häufig als sehr stressig, gerade der tägliche Weg zum Projekt zählt bis heute nicht zu meinen Tages-Highlights. Ich merkte, wie die Flut an Sinneseindrücken, die an jeder Ecke neu auf mich einprasselte, seine Weile brauchte, um verarbeitet zu werden. In diesen Wochen wachte ich müde auf und ging früh zu Bett, ich schlief fest und viel. Die Gewöhnung an das Klima, an eine andere Art, gerade mit Zeit und Verpflichtungen umzugehen, an das Essen, kosteten mich einiges an Kraft und waren nicht einfach. Nichtsdestotrotz erlebte ich auch viel Schönes, das On-Arrival-Camp gehörte beispielsweise dazu. Wie ich bereits in einem anderen Blogeintrag erwähnte, wirkte das Community Center von FSL-India wie eine Oase der Stille und des Friedens, so viele weltoffene, aufgeschlossene und sich so vieler Dinge bewusste Menschen auf einem Fleck hab ich seitdem nicht mehr getroffen, ganz abgesehen davon, dass viele der Einheiten sehr aufschlussreich und informativ waren und wir es insgesamt dort sehr komfortabel hatten. Natürlich soll das ganze jetzt nicht heißen, dass mir solche Charaktereigenschaften seitdem nicht mehr begegnet sind, im Gegenteil, sie sind sogar recht häufig, aber man hat den Mitarbeitern von FSL doch recht deutlich anmerken können, dass sie unheimlich viel Erfahrung mit jungen Menschen aus allen Teilen der Welt haben, die mit einer gewissen Erwartungshaltung in dieses Land kommen, und dass sie wissen, wie sie diesen Übergang so leicht und reibungslos wie möglich gestalten. Gleichzeitig ist der Bild eines Europäers auf den Straßen für viele etwas so ungewöhnliches, sodass man häufig angesprochen wird, die Gespräche aber nicht verfangen oder man einfach nur angestarrt wird. Zudem fehlt ein breites Umweltbewusstsein, was ich in Kundapur als sehr ausgeprägt empfand, wodurch alle Erfahrungen danach dahingehend einen absoluten Kontrast bildeten. Nicht vergessen werde ich das On-Arrival-Camp auch deshalb, weil ich die Atmosphäre innerhalb unserer Freiwilligengruppe als sehr angenehm empfand und ich das Gefühl hatte, obwohl ich neu zur Gruppe hinzukam, gut aufgenommen worden zu sein.

Ein majestätisch über den Felsen thronender Löwe.

Nachdem man sich so langsam zurechtgefunden hatte, kehrte der erste Alltag ein. Einerseits beruhigte mich dies, da ich mich mittlerweile an so manches Ungewöhnliches gewöhnt hatte, jedoch bemerkte ich, nachdem der erste Stress und die Eingewöhnung vorüber war, wie wenig mich die Arbeit im Projekt häufig befriedigte. Sicherlich tut mir die Arbeit mit den Tieren an sich unfassbar gut, man kann sich viel Zeit nehmen zum Verweilen und Nachdenken, es ist die so viel gerühmte Entschleunigung. Andererseits habe ich den Eindruck, dass wir uns, da wir drei Freiwillige sind, häufig Aufgaben wegnehmen und es schwierig ist, jeden ausreichend zu beschäftigen. Spannend wird es sein zu beobachten, wie sich dies mit der französischen Freiwilligen, die in etwa zwei Wochen zu uns stoßen soll, verändern wird. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich tendenziell eher ein unruhiger, rastloser Mensch bin, der eine Beschäftigung benötigt, um nicht trüben Gedanken nachzuhängen. Leider ist dies viel zu selten der Fall. Nun habe ich mich jedoch dazu entschlossen, dies mit stoischem Gleichmut zu ertragen und das beste aus der Situation zu machen, weil ich die Dauer meines Freiwilligendienstes für zu kurz halte, als dass sich z.B. ein Projektwechsel lohnen würde. Allerdings gibt es auch gewisse Punkte, die mich nicht gerade in Glückseligkeit versetzen, ganz abgesehen von dem Mangel an Aufgaben. Da wäre beispielsweise das indirekt bereits angesprochene Umweltbewusstsein. Irgendwie verbinde ich mit einem Tierheim, dass es den Anspruch haben sollte, möglichst umweltschonend und nachhaltig zu operieren, da ein Nichteinhalten desselben zumindest in meiner Logik irgendwie den Gedanken konterkariert, den Tieren etwas gutes zu tun, zumindest, wenn man ihn zu Ende denkt. Denn was bringt es, den Hunden möglichst viel Auslauf zu lassen, wenn gleichzeitig überall Plastikmüllreste herumliegen. Die Krone setzt dem Ganzen meiner Meinung nach die Tatsache auf, dass die Mülleimer, die es tatsächlich gibt, letztlich doch irgendwann erst gefüllt und dann geleert werden, der Inhalt aber einfach auf einem Feld vor dem Tierheim verbrannt wird. Wenn man versucht, den Tieren im Heim etwas Gutes zu tun, aber nicht dazu beiträgt, dass sich die Situation außerhalb des Heims für die unzähligen anderen Straßentiere, die es hier in Indien nun mal gibt, zu verbessern, hat man sein Konzept meines Erachtens nicht zu Ende gedacht. Ich vermisse dabei die letzte Konsequenz. Vielleicht sollte man sich, allein aus praktischen Gründen, auch darüber Gedanken machen, Lampen und Ventilatoren auszuschalten, um Strom zu sparen oder möglichst wenig Wasser zu verschwenden; dies wären, neben dem Aspekt der Ressourcenschonung, einfache Mittel, Kosten zu sparen, was bei einem Projekt, dass sich ausschließlich durch Spenden finanziert, doch wünschenswert wäre, oder etwa nicht? Man muss dabei aber bedenken, dass dem ganzen auch enorme strukturelle Probleme zu Grunde liegen. Einrichtungen wie eine Müllabfuhr sind mir so, beispielhaft dafür, zutiefst selten unter die Augen gekommen, aber ebenso mangelt es an Mülleimern, Kläranlagen und der nötigen Bildung und Aufklärung in der Bevölkerung, um die Omnipräsenz des Mülls, ohne den man quasi keinen Blick mehr auf die Straße werfen kann, zu beseitigen.

Ein seltener Anblick: Rikscha im Regen.

Die trüben Gedanken, von denen ich oben sprach, sind ein ständiger Begleiter; mir fehlt hier so einiges. Die Diskussion beim Abendessen, die selbstgemachte Pizza am Freitagabend, ein eventuelles Glas Rotwein dabei, aber auch die Musik, das Fahrradfahren, der Regen (ja, das norddeutsche Schmuddelwetter fehlt mir tatsächlich!) und einfach die Präsenz mir vertrauter Menschen. Nicht selten fühle ich mich hier einsam, ohne jemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Der Kontakt nach Hause über WhatsApp ist dabei nur ein schwacher Trost, denn wie viel mehr macht es aus, wenn eine Person physisch anwesend ist, statt nur digital, mit ihren Worten und Gedanken als Nachricht in einem Chat manifestiert. Ich muss auch gestehen, dass ich das Gefühl habe, weniger zu lachen, als sonst. Wahrscheinlich ist das ein Zeichen, dass ich mit vielem verkrampft umgehe, mich unbehaglich fühle, aber dass auch die gemeinsame Wellenlänge noch nicht so gefunden zu sein scheint.
Es ist paradox: Bin ich zu Hause, in vertrauter Umgebung, sehne ich mich nach der Ferne, danach, feststehende Gedanken und Meinungen aufzubrechen, zu revidieren und anzureichern mit Erfahrungen, neue Menschen kennenzulernen, andere Orte zu sehen, zu wachsen. Bin ich in der Ferne, so fehlt mir die Vertrautheit der Heimat, eine Mentalität, die ich einschätzen kann und die Bequemlichkeit von Zuhause. Vielleicht ist dieses Suchen nach dem richtigen Weg, der zur Zufriedenheit führt, das, was mir auferlegt ist, unabhängig davon, ob mir Erfolg vergönnt sein wird oder nicht. Dennoch werde ich guten Gewissens diesen Weg weitergehen und blicke gespannt darauf, was und wer mir in den nächsten achteinhalb Wochen widerfahren und begegnen wird.

Mit dem Zug von Avadi nach Hause. Lustigerweise ist Avadi ein Akronym, dass für Armoured Vehicles and Ammunition Depot of India steht und so den einzigen Produktionsstandort für Panzer in Indien benennt.






Sonntag, 21. Mai 2017

Woche Sieben: Die tamilische Sprache

In diesem Beitrag, der ausnahmsweise mal etwas kürzer sein wird, möchte ich mich der tamilischen Sprache widmen, ihren Ursprung und ihre Geschichte erläutern sowie einige Schriftzeichen und einfache Phänomene erklären. Grund des ganzen ist der, dass ich mich nun doch entschlossen habe, soweit möglich die Sprache zu lernen, allerdings muss ich da wohl noch ein bisschen bei meinem Gastbruder nachhaken, den ich darum gebeten hatte.
Tamil ist Teil der dravidischen Sprachfamilie, die auf dem Süden des Indischen Subkontinents verbreitet ist. Weitere verwandte Sprachen sind Telugu, Malayalam und Kannada, die in den jeweils angrenzenden Bundesstaaten gesprochen werden. Tamil selbst hat seine meisten Sprecher – logischerweise – mit etwa 63 Millionen in Tamil Nadu (was soviel wie „Land der Tamilen“ heißt), denn die Grenzen des damals noch unter dem Namen Madras fungierenden Bundesstaates wurden nach der indischen Unabhängigkeit, wie auch in den anderen Staaten, anhand der Sprachgrenzen festgelegt. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch Sprecher der oben genannten Sprachen sowie Urdu in Tamil Nadu, ebenso wie es Tamil-Sprecher in Kerala, Karnataka und Andhra Pradesh gibt. Dazu ist Tamil anerkannte Amtssprache auf Sri Lanka (vielleicht sagen dem ein oder anderen die „Tamilischen Tiger“ etwas) und in Singapur sowie eine anerkannte Minderheitensprache in Malaysia, auf Mauritius und in Südafrika. Insgesamt gibt es weltweit rund 65 Millionen Menschen, die Tamil als Erst- sowie etwa 8 Millionen, die Tamil als Zweitsprache sprechen.

Wie ich bereits in einem anderen Beitrag geschrieben hatte, gibt es in Indien zwei große Sprachfamilien, die nicht miteinander verwandt sind. Die indogermanischen arischen Sprachen und die dravidischen Sprachen. Während sich der Weg der indoarischen Sprachen nach Indien relativ gut nachverfolgen lässt, ist der Ursprung der dravidischen Sprachen unklar, da unbekannt ist, ob sie in Indien autochthon sind oder von außerhalb nach dort gelangten. Sehr wohl gibt es zwar eine unter tamilischen Nationalisten weit verbreitete Idee, nach der die Tamilen vom versunkenen Kontinent Kumarikkandam stammten und dort die Wiege der der Menschheit liege (mit einem homo dravida als dem Urmenschen). Dieser Kontinent solle sich einst vom Kap Komorin (oder Kanyakumari auf Tamil) bis nach Madagaskar und Australien erstreckt haben. Sehr wohl lässt sich diese Behauptung, die auch durch die in Chennai ansässige Theoophische Gesellschaft (ein interessantes Thema für sich; zu empfehlen dazu Das foucaultsche Pendel von Umberto Eco) in esoterischen Kreisen weite Verbreitung gefunden hat, jedoch ins Reich der Legenden verweisen, wird allerdings immer noch dazu verwendet, um eine besondere Bedeutung des Tamil zu postulieren.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Tamilen ausgesprochen stolz auf ihre Sprache sind, so wurde uns vor etwa drei Wochen erzählt, der indische Premierminister Narendra Modi habe Tamil „zur schönsten indischen Sprache erklärt“. Um die Jahrhundertwende bildete sich die tamilisch-nationalistische „Dravidische Bewegung“ heraus, die für einen unabhängigen Dravidenstaat unter tamilischer Führung eintrat und sich gegen die gesellschaftliche Vorherrschaft der brahmanischen Priesterkaste wandte. Unter Einfluss dieser Bewegung wurden viele Lehnwörter aus dem Sanskrit, aus denen um 1900 die tamilische Schriftsprache zu etwa 50 Prozent bestand, durch Wortneuschöpfungen unter Bezugnahme auf das Alt-Tamilische ersetzt, sodass Mitte des Jahrhunderts nur noch rund 20 Prozent des Wortschatzes sanskritischen Ursprungs waren. Allerdings tun sich diese neuen Begriffe bis heute schwer gegen Lehnwörter aus dem Englischen, die mittlerweile weitverbreitet sind.

Als eine von nur sechs Sprachen hat das Tamil den offiziellen Status einer klassischen Sprache, was sich durch seine gut zweitausendjährige Geschichte erklären lässt. Daneben gilt es als von den arischen Sprachen am wenigsten beeinflusste dravidische Sprache, während z.B. in Kannada deutlich mehr Begriffe aus dem Sanskrit entlehnt sind.

Zudem existiert im Tamilischen eine überaus ausgeprägte Diglossie, Schrift- und Umgangssprache unterscheiden sich stark voneinander. Dabei neigt die Umgangssprache dazu, Wortendungen teils extrem zu verknappen und überhaupt die Struktur der Sätze und Wörter zu vereinfachen und sie mit englischen Begriffen anzureichern. Während die Schriftsprache, die darüber hinaus weitaus mehr Prestige besitzt, vor allem im Rundfunk, in der Literatur und bei wichtigen Anlässen zum Einsatz kommt, wird die Umgangssprache für die alltägliche Konversation verwendet (Wer hätte das gedacht?). Darüber hinaus sind auch die Dialekte dort deutlich ausgeprägter, wobei hier vor allem auf die Unterschiede zwischen den Dialekten Tamil Nadus und Sri Lankas zu verweisen ist. Dazu kommen Kastendialekte und Soziolekte, sodass sich die Situation ergibt, dass man schon im nächsten Dorf einen anderen Dialekt spricht. Jedoch hat die Popularität tamilischer Filmproduktionen eine Art überregionale Umgangssprache geschaffen.

Die tamilische Schrift ist eine Mischform aus Laut- und Silbenschrift, ein sogenanntes Abugida. Dabei wird als Grundelement der inhärente Vokal a verwendet, mit denen die verschiedenen Konsonanten kombiniert werden. Wird ein anderer Vokal verwendet, wird ein für den jeweiligen Vokal stehendes diakritisches Zeichen an den Konsonanten angehängt, mit dem es eine Einheit bildet. Am Wortanfang stehen die Vokale als eigenständige Zeichen. Insgesamt gibt es zwölf Vokale und 18 Konsonanten (sowie einen aus dem Alt-Tamilischen übernommenen Laut, der halb Vokal und halb Konsonant ist), durch Kombination dieser können 216 Zeichen gebildet werden, sodass sich alles in allem 247 Schriftzeichen ergeben (Diese könnt ihr hier nachsehen: http://www.omniglot.com/writing/tamil.htm ) Dazu gibt es fünf Grantha-Zeichen, die in der Regel nur in Lehnwörtern aus dem Sanskrit verwendet werden. Typisch für die tamilische Sprache ist Syntax bestehend aus Subjekt-Objekt-Verb.

Tamil ist ziemlich kompliziert, wenn ich die Sprache lernen sollte, wird dies eine ziemliche Herausforderung. Aber wir werden sehen, mittlerweile hat mich tatsächlich der Wille gepackt, zumindest Grundlagen zu lernen und mit der Schrift vertraut zu werden, sodass ich mir später einiges selbst beibringen kann.



Montag, 15. Mai 2017

Woche Sechs: Sag, wie habt ihr's mit der Religion?

Zurück in Chennai kehrte der Alltag wieder ein, bestehend aus der Projektarbeit und dem gemeinsamen Essen in der Familie. Dieser wurde nur unterbrochen durch einen Zoobesuch am Donnerstag: Einmal im Monat steht mir als regulärem, nicht vom BMZ oder Bundesfamilienministerium gefördertem Freiwilligen ein sogenanntes „Cultural Event“ zu. Dieses besteht aus monatlich unterschiedlichen Aktivitäten, in der Regel Ausflüge zu wichtigen historischen oder kulturellen Stätten, aber auch z.B. Besuche von Hochzeiten oder Ähnlichem, die der Freiwillige gemeinsam mit seiner Koordinatorin oder seinem Koordinatoren unternimmt.

Der Eingang des Zoos

In meinem Falle besuchten wir den „Arignar Anna Zoological Park“ ca. 30 Kilometer südwestlich des Stadtzentrums. Mit über 500 Hektar Ausdehnung und etwa 2200 Tieren ist er der größte Zoo Indiens und beherbergt unter anderem Elefanten, Giraffen, Affen, Bengalische und Weiße Tiger, asiatische Löwen, diverse Hirsch- und Vogelarten und verschiedene Krokodile, darunter die seltenen Gangesgaviale. Bis 1985 war der zugleich auch älteste Zoo des Landes im Zentrum der Stadt beheimatet, aufgrund von Platzmangel musste er dann jedoch an seinen heutigen Standort umziehen. Dort wurde er inmitten eines Waldes errichtet, der dem Bau zwar anfangs weichen musste, später aber unter Mithilfe von Anwohnern und Angestellten wieder aufgeforstet wurde. Der Zoo selber verfolgt das Ziel, vor allem gefährdete regionale und nationale Tierarten zu züchten und diesen dabei so viel Freiraum wie möglich zu lassen. Der Tag an sich war interessant, mit unserer kleinen Gruppe von sechs Leuten, die aus meiner Koordinatorin, einer ihrer Freundinnen, zwei Freiwilligen aus Pondicherry und deren Koordinatorin und mir bestand, hatten wir viel Spaß. Auf Fahrrädern, die blöderweise für alle Großgewachsenen viel zu klein waren, erkundeten wir das Gelände und staunten über viele der Tiere. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass wir uns dabei etwas abhetzten, vielleicht wäre eine Tour zu Fuß entspannter und zugleich informativer gewesen, aber vielleicht bin ich auch nur von europäischen Zoos verwöhnt. Ich muss aber ebenfalls sagen, dass sich mir der Eindruck aufdrängte, am Zoo selber habe sich seit einiger Zeit (seit der Eröffnung?) nicht mehr viel getan, in einigen Gehegen lagen Bretter herum und es entstand ein etwas schäbiger Gesamteindruck. Man muss aber hinzufügen, dass dies sicherlich auch dem Zyklon letzten Dezembers zuzuschreiben ist, dessen Folgen auch abseits des Zoos noch an vielen Stellen sichtbar sind. Zudem muss ich mich jedoch fragen, inwiefern in Indien überhaupt ein Bewusstsein für das Tierwohl und Zoos besteht. Zwar war der Eintritt für europäische Verhältnisse billig, im Inneren sah man trotzdem eher betuchte Familien mit Kindern, die auch nicht in Ehrfurcht die Tiere bestaunten, sondern stattdessen lärmend vor beispielsweise den Scheiben der Terrarien standen und Unruhe verbreiteten, während ihre Eltern an jeder Ecke ein Selfie machten (nicht umsonst macht eine indische Handymarke Werbung mit dem Slogan „Welcome to Selfiestan“). So weiß ich nicht so recht, was ich von diesem Ausflug halten soll, einerseits war allein die schiere Größe des Geländes neben vielen anderen positiven Aspekten beeindruckend, aber andererseits konnte ich nicht die Ruhe verspüren, die mich sonst so gerne in Zoos gehen lässt.

Samstag erlebte ich aus meiner Sicht das Highlight dieser Woche. Wir besichtigten am späten Nachmittag zwei alte Tempel, die sich im Nachbardorf befinden. Dabei erfuhr ich viele Details über die Vergangenheit dieser Gegend, aber auch über den Hinduismus im Allgemeinen, die mich zum eigentlichen Thema dieses Blogeintrags bringen: Der Religion.

Der Tempel Shivas
Die beiden Tempel wurden vor rund 1000 Jahren (angeblich habe sogar Marco Polo im 9. (!) Jahrhundert über diese in seinen Reiseberichten geschrieben) von den Königen der Pandya, die im Zenit ihrer Macht von Madurai aus große Teile Südindiens beherrschten, errichtet. Nach deren Untergang habe die Natur große Teile der Gegend zurückerobert, bis vor etwa 30 Jahren aufgrund der Überbevölkerung Chennais aus der Stadt ausgezogene Familien die zu dem Zeitpunkt bestehenden Baumbestände abgeholzt und dabei die Tempel wieder freigelegt und wieder angefangen haben, diese zu nutzen. Der größere Haupttempel ist Shiva geweiht, während im kleineren die Verehrung Perumals, also Vishnus, im Vordergrund steht. Dabei konnte ich zum ersten Mal das Tempelinnerste besichtigen, was mich zutiefst beeindruckt hat, die vielen unterschiedlichen Götterbildnisse, die Hingabe, mit der diese gereinigt und geschmückt werden, aber auch die architektonische Kunst, die sich meines Erachtens vor allem an den ausgeklügelten Bewässerungskanälen und -leitungen zeigt, die heutzutage aber nicht mehr in Benutzung sind. Davon ausgehend möchte ich einen kurzen allgemeineren Überblick über die religiöse Situation vor allem in Tamil Nadu geben, aber auch auf die Grundideen des Hinduismus eingehen.

Von den ca. 72 Millionen Einwohnern des Bundesstaates sind etwa 88 Prozent Hindu, 6 Prozent Christen und 6 Prozent Muslime. Andere Religionen wie der Jainismus sind nur sehr gering vertreten. Nach Kerala beherbergt Tamil Nadu in absoluten Zahlen die zweitmeisten Christen in ganz Indien, aber auch die Zahl der Hindus liegt weit über dem Landesdurchschnitt von 80 Prozent. Der Islam konnte sich dagegen weit weniger durchsetzen, als in Nordindien.

Mit etwa einer Milliarde Gläubigen ist der Hinduismus nach dem Christentum und dem Islam die am drittmeisten verbreitete Religion auf der Erde, wovon ca. 92 Prozent in Indien leben. Hier ist er der dominante Glaube, seit er sich im ersten nachchristlichen Jahrtausend gegen den bis dato vorherrschenden Buddhismus durchsetzte. Der Begriff geht ursprünglich auf die muslimischen Eroberer zurück, die ab dem frühen 8. Jahrhundert über den Indus in die Gangesebene vordrangen und dabei weite Teile Nordindiens unterwarfen. Aufgrund der Tatsache, dass die nichtmuslimischen Bewohner (arabisch „Dhimmi“) in historischen muslimischen Staaten eine Kopfsteuer zu leisten hatten. Um zwischen der eingewanderten muslimischen Bevölkerung und den alteingesessenen, andersgläubigen Bewohnern des Landes jenseits des Indus (persisch „Hindu“) zu differenzieren, wurde der Begriff als Sammelbezeichnung für alle Nicht-Muslime eingeführt. Diese steuerliche Unterscheidung wurde von allen nachfolgenden Reichen fortgeführt und auch schließlich von den Briten übernommen, die auf Grundlage der Verwaltungsstrukturen der Moguln arbeiteten. Die Bedeutung des Begriffs „Hindu“ ergibt sich also in erster Linie aus seiner Abgrenzung zum „Muslim“.

Ein Mandala zur Feier des Vollmondes

Unsere heißgeliebten europäischen Nachbarn von der Insel, die uns gerade mit ihren Brexit-Forderungen ein interessantes Schauspiel darbieten, waren es dann, die erstmals zwischen „Indern“ als Bewohner des Subkontinents und „Hindus“ als Anhänger der traditionellen Religionen im Gegensatz zu Christen und Muslimen unterschieden. Daraus entwickelte sich der „Hinduismus“ als Sammelbegriff. Dabei wurde jedoch übersehen, dass die Religionen, die unter diesem Begriff zusammengefasst wurden, keineswegs einheitlich waren, wie es der Begriff vorzugeben scheint. Stattdessen bezeichnet „Hinduismus“ eine Vielzahl unterschiedlichster Religionen und Strömungen, die monotheistischer, polytheistischer und dualistischer Natur sein können. Es gibt weder ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, noch eine zentrale Institution, die für alle Hindus spricht, noch einen einzelnen Religionsstifter, sodass sich selbst die „Welt-Hindu-Konferenz“ schwertat, eine allgemeingültige Definition zu verfassen. Allerdings besteht zwischen den vielen einzelnen Glaubensrichtungen keine Konkurrenz, stattdessen können sie häufig in Eintracht feiern und beten, getreu dem Motto „Einheit in Vielfalt“.

Es ist sehr schwer, diese Vielfalt an Strömungen zu kategorisieren. In Indien selbst wird gemeinhin unterschieden zwischen dem brahmanischen Sanskrit-Hinduismus, der stark ritualisiert ist, sich auf die Veden beruft und vor allem von der Priesterkaste der Brahmanen getragen wird, dem dörflich-volksreligiösen Hinduismus, in dem teilweise polytheistische Elemente des Sanskrit-Hinduismus mit animistischen Elementen vermischt werden und in der Regel neben den Hochgöttern wie Vishnu, Shiva, Ganesha, etc. lokale Gottheiten und Hlden verehrt werden, und schließlich gestifteten Religionen, die sich auf einen einzelnen Religionsstifter berufen, der mit seinen Iden passiv oder aktiv den Anstoß für die Gründung einer neuen Bewegung gegeben hat. Außerhalb Indiens wird zwischen „großer“ und „kleiner Tradition“ unterschieden: Als „groß“ versteht man den brahmanisch-sanskritischen Hinduismus, der Merkmale einer Hochkultur aufweist (Priesterklasse, Hochgötter, einheitliche Texte), wohingegen unter „klein“ die Volksreligionen und Sekten/ gestifteten Religionen zu verstehen sind.

Gemeinhin unterscheidet man drei Hauptrichtungen des Hinduismus: Den Vishnuismus, den Shivaismus und den Shaktismus. Alle drei stellen jeweils eine Gottheit in das Zentrum ihrer Theologie, wobei es auch innerhalb dieser Richtungen unterschiedliche Strömungen gibt, die wiederum andere Glaubensprinzipien betonen und unterschiedliche Auffassungen über die Form der Gottheiten haben. So stellt der Vishnuismus Vishnu in den Vordergrund, der Shivaismus Shiva und der Shaktismus das weibliche Urprinzip bzw. weibliche Göttinen, die die treibenden Kräfte hinter den Handlungen ihrer jeweiligen männlichen Seiten sind. Allgemein gesprochen sind die Strömungen sehr vielfältig, jedoch gibt es überall jeweils einen höchsten persönlichen Gott oder die unpersönliche Weltseele (Brahman), der sich in vielerlei Formen, in der Regel als andere Gottheit, manifestiert. Ebenfalls populär ist die Darstellung Brahmas, Shivas und Vishnus als Trimurti (Dreiheit).

Das Innerste des Tempels

So unterschiedlich sie auch sind, so gibt es doch einige zentrale Konzepte, die vielen Ausrichtungen gemein sind. So durchlaufen alle Lebewesen im ewigen Kreislauf des Lebens und der Wiedergeburt, Samsara, die Weltzeitalter, Yuga. Während seiner Zeit auf Erden sammelt jedes Individuum abhängig von seinem Verhalten im Bezug auf das Dharma, die Ordnung, der alles unterliegt, Karma, in welchem die aus den Handlungen des Individuums entstandenen Konsequenzen beinhaltet sind. Das Karma wiederum beeinflusst die zukünftigen Reinkarnationen und die Erlösung (Moksha), die aus dem Aufgehen des Atman in Brahman besteht. Das Atman ist zu vergleichen mit einem kosmischen, unsterblichen Kern, ähnlich der Seelenlehre Platons. Die Erlösung ist das Ziel eines jeden Gläubigen und kann durch persönliche Erleuchtung erreicht werden. Zu dieser gelangt man, indem man, unter anderem, den Wegen des Bhakti Yoga, der liebenden Verehrung Gottes, des Karma Yoga, dem Weg der Tat, dem Jnana Yoga, dem Weg des Wissens oder dem Raja Yoga, dem „Königsweg“, folgt.

Natürlich beinhaltet der Hinduismus noch weitaus mehr, als ich hier auf die schnelle darstellen konnte, aber ich hoffe, ich konnte einen Überblick geben und vielleicht das Interesse des ein oder anderen wecken.

Hampi






Sonntag, 7. Mai 2017

Woche Fünf: Von Chennai nach Bangalore, Goa, Hampi und zurück

Wie bereits im letzten Blogbeitrag angekündigt, bin ich die letzte Woche auf Reise gewesen, von der ich nun berichten möchte. Insgesamt waren wir neun Nächte, also von Freitagnacht bis Sonntagmorgen, unterwegs und machten dabei Halt in Bangalore (eine Nacht), Goa (zwei Nächte) und Hampi (ebenfalls zwei Nächte). „Moment, das sind doch nur fünf Nächte, war nicht im Satz davor von neun die Rede?“ mag sich der aufmerksame Leser denken. Tatsächlich waren wir zwischen den einzelnen Etappen nachts per Bus unterwegs, um noch möglichst viel Zeit vor Ort zu haben, also so effizient und gleichzeitig komfortabel wie möglich zu reisen.

Besagter Park in Bangalore

Zu dritt fuhren wir über Nacht in den erst 1961 der indischen Union beigetretenen Bundesstaat, der zur Hauptsaison ein Paradies für Europäer aller Art, vor allem aber für Israelis und Russen ist. Genau wie Bangalore machte sich auch hier schnell das Gefühl breit, nicht mehr „wirklich in Indien“ zu sein, was in diesem Falle sicherlich an der touristischen Ausrichtung der Orte gelegen haben mag. Nach einer gut zwölfstündigen Busreise erreichten wir die für indische Verhältnisse winzige Hauptstadt Panjim (ca. 40.000 Einwohner), von der aus wir uns weiter bis zu dem kleinen Strandort Anjuna eine gute Stunde nördlich der Hauptstadt durchkämpften. In der brütenden Mittagssonne suchten wir, dort angekommen, nach einer Unterkunft, was allerdings einige Zeit in Anspruch nahm, denn sie sollte ja billig und zugleich ordentlich und sauber sein. Schließlich gaben wir uns mit einer kleinen Hütte in einem Guest House-Komplex zufrieden, es sollte ja nur für zwei Nächte sein.
Danach ging es schnellstmöglich an den Strand! Verglichen mit Europa gibt es sicherlich schönere Strände als Anjuna Beach, aber man muss bedenken, dass es nur in Goa möglich ist, Strandurlaub wie in Europa zu machen (z.B. kann man dort billig und verhältnismäßig einfach Alkohol und Tabak erstehen und auch die Regeln für insbesondere weibliche Badebekleidung sind anders als im Rest Indiens westlich). Anders als in der Hauptsaison war es jedoch eher schwierig, gute Partylocations zu finden – nicht, dass mich das großartig gestört hat –, sodass wir die drei Tage in Goa größtenteils zum Ent- und Ausspannen, zum am-Strand-liegen und Zurücklehnen und Genießen nutzten. Dazu deckten wir uns mit Andenken ein.

Anjuna Beach

Standardbild Indien: Kuh; in Goa: Kuh am Strand

Am Mittwochabend schließlich traten wir, jetzt nur noch zu Zweit, den letzten Teil unserer Reise an: Hampi. Diese im nördöstlichen Karnataka gelegene Stätte ist seit gut dreißig Jahren Weltkulturerbe und wurde vor gut 650 Jahren gleichnamige Hauptstadt des für ca. 200 Jahre bestehenden Reiches von Vijayanagar, das als letztes großes Hindu-Reich Indiens gilt. Rund zweihundert Jahre später wurde Vijayanagar von einer Allianz muslimischer Fürstentümer besiegt und die Hauptstadt geplündert und die Mauern geschliffen. Nichtsdestotrotz sind vor allem ausgesprochen viele Tempelanlagen erhalten geblieben, darunter der noch heute genutzte, jedoch weitaus ältere Haupttempel, der Virupaksha-Tempel, sowie der auf dem Höhepunkt der Macht des Reiches errichtete Vitthala-Tempel. Die Anlage selber ist eingebettet in viele und hohe Granitfelsen und -berge und entsprechend weit sind Tempel- und Gebäudereste verstreut, sodass es einige Zeit in Anspruch nimmt, alles zu besichtigen. Unglücklicherweise hatten wir uns mit dem Mai den heißesten Monat des Jahres ausgesucht, um Hampi zu besuchen, allerdings hatten wir uns beide vorgenommen, unbedingt dorthin zu fahren, sodass uns aufgrund der Dauer unserer Freiwilligendienste und der in Karnataka bald einsetzenden Regenzeit nur der Mai blieb.

Blick von der Nordseite des Flusses auf den Virupaksha-Tempel

Tatsächlich würde ich rückblickend sogar behaupten, dass dieser Zeitpunkt eine ausgezeichnete Wahl war. Zwar erreichten die Temperaturen Höchstwerte von 40°C, aber profitierten wir davon, dass der Fluss deshalb sehr wenig Wasser führte, sodass wir, anders als im Normalfall, diesen zu Fuß überqueren konnten und uns dadurch die Kosten für die Fähre sparten. Wir kamen nämlich nördlich des die Stadt begrenzenden Flusses in einem vom Preis-Leistungs-Verhältnis ausgesprochen hochwertigen Guest House unter, weshalb wir normalerweise gezwungen gewesen wären, wiederholt für eine Überfahrt zu bezahlen. Zudem denke ich, dass wir in der Saison nicht in der Lage gewesen wären, in diesem Guest House, dass uns erst auf der Anreise ein französisches Pärchen empfahl, das auch auf dem Weg dorthin war, ohne vorherige Reservierung zu buchen.

Die Tempelelefantin Lakshmi

Die drei Tage in Hampi waren für mich das Highlight der Reise, die Anlagen wirken wie eine Mischung aus Forum Romanum/Ostia Antica, dem Tal der Könige, den alten mesopotamischen Stadtstaaten, den mesoamerikanischen Hochkulturen und Atlantis, kombiniert mit indischen Statuen, Malereien, Figurinen und Götterbildern. Sich vorzustellen, wie in dieser Landschaft einst bis zu 200.000 Menschen gelebt haben sollen, gibt einem das Gefühl, verschwindend unbedeutend und doch ewig im Sand der Zeit zu sein. Aber all die Imposanz lässt sich nicht wirklich in Worte fassen, selbst mit Bildern nicht wirklich einfangen. Es ist am besten, man sieht es mit eigenen Augen.

Der sogenannte "Sunset Point"; in 90% der Fälle ist der Horizont von aus den Wäldern aufsteigendem Nebel bedeckt

Nun, da ich wieder in meine Gastfamilie zurückgekehrt bin, fällt es mir schwer, daran zu denken, ab morgen wieder arbeiten zu müssen. Ich habe auf der ganzen Reise so viele Eindrücke erhalten, die ich alle erst einmal verarbeiten muss. Aber trotz allem gilt immer:

Don't worry, be Hampi.




Dienstag, 2. Mai 2017

Woche Vier: Die Sache mit dem Wasser

Werfe ich einen Blick zurück auf die vergangene Woche, so scheint auf den ersten Blick nicht viel geschehen zu sein: Höhere oder geringere Auslastung im Projekt, das Miterleben eines Streiks, der fast den gesamten öffentlichen Nahverkehr lahmlegte und die plötzliche Gelegenheit, über Bangalore nach Goa und Hampi zu fahren (wie diese Reise abgelaufen sein wird, erfahrt ihr nächste Woche).       
Mit der Arbeit im Projekt verhielt es sich weitestgehend wie die anderthalb Wochen davor, also Hunde füttern und waschen, Katzen füttern, Pferde striegeln, sowas. Allerdings waren diese Tätigkeiten, die nicht selten recht großer Mengen an Wasser bedürfen, immer häufiger von Zwangspausen durchsetzt, bedingt durch den Mangel desselben. Tatsächlich ist der hohe Verbrauch an Wasser ein reales Problem, dass sich durch das Nicht-Vorhandensein andererseits gerade in den besonders heißen und trockenen Monaten April und Mai noch verstärkt. Doch warum ist dem so?


Tamil Nadu liegt an der Südostküste Indiens, seine natürliche Grenze zu den westlich von ihm liegenden Bundesstaaten Kerala und Karnataka bilden Ausläufer der Westghats und das Dekkan-Plateau. Die Westghats wiederum ziehen sich fast bis auf Höhe von Mumbai. Dank seiner Länge bildet dieses Gebirge eine der wichtigsten Wasserscheiden des indischen Subkontinents. Der im Juni einsetzende Sommermonsun, der den meisten Teilen Indiens enorme Regenfälle bringt und so die Triebkraft der indischen Landwirtschaft darstellt, erreicht Tamil Nadu ebenso wie weite Teile des Dekkan-Hochlandes nur in Grenzen, da er sich vorher an den zwischen der Westküste und dem Hinterland liegenden Westghats abregnet. Dies hat zur Folge, dass die meiste Zeit des Jahres im Südosten des Landes nur sehr, sehr wenig Niederschlag fällt. Linderung verspricht einzig der Wintermonsun, der eigentlich vor allem aus warmen, trockenen Winden besteht und somit in großen Teilen Indiens für Dürreperioden sorgen kann. Bevor diese Winde Tamil Nadu erreichen, passieren sie jedoch den Golf von Bengalen, über dem sie Wasser aufnehmen können. Dieses Wasser fällt dann als Niederschlag auf die Böden Tamil Nadus, seine Menge ist jedoch nicht ansatzweise zu vergleichen mit der, die der Sommermonsun an die Westküste transportiert. Zudem treten statt regelmäßiger Niederschläge meistens Stürme und Zyklone auf, sodass die Regenfälle nicht selten mit Verwüstungen einhergehen.


Fällt dieser Niederschlag, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer, nicht, so besteht das extrem hohe Risiko einer folgenreichen Dürre. Genau dies ist im vergangenen und diesen Jahr passiert. Als die „schlimmste Dürre seit 140 Jahren“ wird diese betitelt, unter der Tamil Nadu besonders zu leiden hat. 82% weniger Niederschlag als in den vergangenen Jahren sei hier gefallen, was zur Folge hat, dass der ganze Staat unter massiven Ernteausfällen zu leiden hat, sodass schon bis zum 10. Januar, als die Landesregierung den Dürrezustand verhängte, über 140 Bauern keinen anderen Ausweg sahen, als Suizid zu begehen, da diese Dürre sie sonst in den Ruin getrieben hätte.Der letzte Niederschlag fiel im Dezember, als ein Zyklon auf die tamilische Küste traf und große Verwüstung anrichtete, deren Folgen teils immer noch spürbar sind. Und selbst dieser Zyklon brachte nur wenig Regen, weshalb die Wasserspeicher mittlerweile größtenteils leer sind. (https://en.wikipedia.org/wiki/2016%E2%80%9317_Drought_in_Tamil_Nadu )
Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass, ebenso wie beim Müll, vielen das Bewusstsein für den Ernst der Lage fehlt, wenn man beobachtet, wie verschwenderisch teils immer noch mit dem Wasser umgegangen wird. Abgesehen davon herrscht in ganz Indien das Problem, dass ein Großteil des Wassers, was auch zum Trinken verwendet wird, verunreinigt ist. Nur wenige größere Städte verfügen über Kläranlagen, und selbst diese sind nicht ansatzweise in der Lage, die Verunreinigung zu beseitigen, da z.B. in den Ganges auf seiner gesamten Länge Abwasser eingeleitet werden, sodass die Schadstoffbelastung um ein Hundertfaches höher ist, als von der indischen Zentralregierung erlaubt (selbst dieser erlaubte Grenzwert liegt um ein Vielfaches höher als in Deutschland, um sich die Verhältnismäßigkeiten ins Bewusstsein zu rufen).


Mit dem heißesten Monat des Jahres noch vor uns und bereits fast vollständig geleerten Wasser-Reservoirs steht uns eine interessante, aber auch harte Zeit bevor. Interessant in dem Sinne, dass es spannend wird zu beobachten, wie beispielsweise in dem Projekt damit umgegangen wird, denn so eine hohe Zahl an Tieren benötigt einfach viel Wasser. Hart wird es, weil viele der Tiere jetzt schon nicht in der Lage sind, die Hitze zu überstehen, sodass sie besonders unter kleinen Hunden nicht wenige Opfer fordert, und ich mir nicht auszumalen vermag, wie die Situation sich noch verschlechtert, wenn das Wasser ausgeht. Wir werden sehen.