Relativ spontan entschloss ich mich in der vorletzten Woche, für
ein paar Tage nach Pondicherry, vier Stunden südlich von Chennai
gelegen, zu fahren. Dies hatte ich eigentlich für Ende Juni
vorgesehen; aufgrund der Tatsache, dass die Freiwilligen der letzten
Sommerausreise bereits kommenden Freitag nach Deutschland
zurückkehren, änderte ich meinen Plan jedoch kurzfristig, denn
einerseits wollte ich gerne die Gelegenheit nutzen, um weitere
Freiwillige kennenzulernen und von ihren Erfahrungen zu hören,
andererseits hatte ich wenig Lust, die Tage alleine zu verbringen und
mir alleine ein Hotelzimmer nehmen zu müssen. So kam es, dass ich in
den Morgenstunden des 17. Juni aufbrach, um das Unionsterritorium zu
erreichen.
Der ganze Weg kostete mich in etwa acht Stunden, da ich nicht nur
den Bus nach Pondicherry, der alleine etwa vier Stunden brauchte,
nehmen musste, sondern erst einmal zum zentral in Chennai gelegenen
C.M.B.T. (das steht für Chennai Mofussil Bus Terminus und bezeichnet
den größten Busbahnhof Asiens), von dem die Fernbusse fahren,
gelangen musste und schließlich, kaum in Pondicherry angekommen,
bereits wieder einen Bus raus aus der Stadt nehmen musste, um zu
meinem Zielort zu gelangen. Dort, in einem kleinen Ort namens
Thazhuthali, etwa eine Stunde außerhalb von Pondy, wurde ich von
Louis empfangen. Louis ist seit vergangenem August hier und hat diese
Zeit zusammen mit einem weiteren
Long Term Volunteer in der
Sristi Foundation (https://m.facebook.com/sristifoundation/) verbracht.
Diese liegt etwa drei Kilometer von Thazhuthali entfernt und Ziel ist
es, geistig eingeschränkten Menschen einen Platz zum Wohlfühlen
anzubieten, an dem sie gleichzeitig etwas über Ackerbau und andere
Dinge lernen, sodass sie idealerweise irgendwann in der Lage sind,
sich etwas selbstständiger in die Gesellschaft zu integrieren. Louis
zeigte mir das
pink house,
in dem jeweils die Freiwilligen von
Sristi
untergebracht sind und wir hatten eine angenehme Unterhaltung, in dem
wir uns über FSL, andere Freiwillige und Indien allgemein
austauschten. Etwas später machten wir uns zu Fuß auf den Weg zum
Projekt, das wir nach einem gut halbstündigen Fußmarsch erreichten.
Dort wurden wir sogleich freudig von den Bewohnern und Mitarbeitern
sowie einigen Hunden empfangen, denn Louis war selbst erst am
Samstagmorgen von einer Reise zurückgekehrt und deshalb das erste
mal seit zwei Wochen wieder in
Sristi. Dort
aßen wir dann zu Abend und verbrachten auch die Nacht.
Wie bereits angedeutet, ist
Sristi eine Farm, die
aus etwa 9 acre Land besteht. Der Projektgründer hat selbst als
junger Erwachsener in einem Waisenhaus gearbeitet und dies sogar
einige Zeit geleitet, wo er feststellte, dass sowohl behinderte als
auch nicht-behinderte Kinder zwar zusammen spielen und es nur wenige
Konflikte gibt, sobald diese jedoch älter werden die
nicht-behinderten nun jungen Erwachsenen das Waisenhaus verlassen,
eine Ausbildung machen und eine Familie gründen, die behinderten
jungen Erwachsenen jedoch entweder im Waisenhaus bleiben, oder auf
der Straße landen. Es gibt also keine staatlichen
Auffangmöglichkeiten für diese Menschen, die nur schwer an Arbeit
gelangen und für die ein selbstständiges Leben häufig nicht
problemlos möglich ist. Aufgrund dieser Beobachtung und der
Erfahrung, wie das Wachstum und die Pflege von Pflanzen einen
behinderten Jungen in dem Waisenhaus positiv veränderte, beschloss
er,
Sristi zu gründen.
Bis dahin war es ein weiter, nicht komplikationsloser Weg, doch seit
gut drei Jahren ist das Projekt so weit fortgeschritten, dass
Menschen auf der Farm leben und arbeiten können. Ich selbst war und
bin immer noch zutiefst beeindruckt, was für eine schöne Atmosphäre
in
Sristi herrscht und
mit wieviel Empathie sich seine Bewohner begegnen. Es hat mich
gefreut, Louis davon erzählen zu hören, wie sehr ihm das Projekt
ans Herz gewachsen ist und zu sehen, was für einen enormen Einfluss
seine Arbeit auf die Farm gehabt hat. Im Gegensatz zu den
Erfahrungsberichten vieler anderer Freiwilliger ist dies ein wirklich
herausragendes positives Beispiel dafür, wie es laufen kann, wenn
man seinen Freiwilligendienst in Indien absolviert. Sogar andere
Freiwillige nutzten ihre verbliebenen Tage vor dem
End
Stay, um in
Sristi zu
helfen.
Ich hingegen war gekommen, um mir
Pondicherry anzuschauen, entsprechend brach ich Sonntag nach dem
Frühstück auf, um in die Stadt zu fahren. Die Stadt, lange Zeit
Zentrum
Französisch-Indiens und
heutzutage bedeutendster Ort des Unionsterritorriums
Puducherry,
besitzt aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit eine einzigartige
Mischung aus kolonialfranzösischer und indischer Architektur. Das an
der Küste gelegene
French Quarter bildet
den historischen Kern der Stadt, was für sich genommen bereits ein
Alleinstellungsmerkmal ist, denn nirgendwo sonst lässt sich in
Indien ein Stadtzentrum ähnlich von denen in Europa ausmachen. Hier
befinden sich die bedeutendsten Einkaufsstraßen, Hotels, Cafés,
aber auch eine französische Schule und sogar ein französisches
Konsulat. Das Viertel lädt zum Verweilen ein, denn in seinen Straßen
ist es erstaunlich ruhig, was eine angenehme Abwechslung zum
indischen Teil der Stadt darstellt, durch den man gelangen muss.
Trotz seiner nur relativ geringen Einwohnerzahl von „nur“ 240.000
ist Pondicherry nämlich eben auch eine typisch indische Stadt mit
Verkehrslärm, Müll Chaos, wobei ich sagen muss, dass ich noch keine
so saubere Stadt in Indien gesehen habe, wie Pondicherry. Auffällig
waren alllerdings die vielen
liquor stores im
Stadtbild, die aber ihre Daseinsberechtigung darin haben, dass die
Alkoholsteuern im Vergleich zu Restindien (abgesehen von Goa) sehr
niedrig sind, weshalb Alkoholtourismus und -schmuggel ebenfalls an
der Tagesordnung sind. Mein Sonntag bestand größtenteils daraus,
besagtes
French Quarter zu
durchwandern; ich spazierte über den
Sunday Market,
aß ein Eis an der Uferpromenade oder verbrachte die Zeit im
Bharatihi Park im
Schatten der Bäume. Am späten Nachmittag kehrte ich ins p
ink
house zuück, wo wir es uns bei
selbstgemachten Pommes Frites gutgehen ließen.
Am nächsten Tag fuhr ich nach
Auroville, dass sich ein Stück nördlich von Pondicherry befindet.
Auroville ist eine hauptsächlich von Mira Alfassa , die zu dem
Zeitpunkt den Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry leitete, geplante,
auf der Gesellschaftstheorie von Sri Aurobindo basierende
„universelle“ Stadt, die 1968 eingeweiht wurde. In einer
Gründungscharta schrieb Mira Alfassa ihre Vision von Auroville
nieder:
- Auroville gehört niemandem im
besonderen. Auroville gehört der Menschheit. Aber um in Auroville
zu leben, muss man bereit sein, dem Göttlichen Bewusstsein zu
dienen.
- Auroville wird der Ort des
lebenslangen Lernens, ständigen Fortschritts und einer Jugend sein,
die niemals altert.
- Auroville möchte die Brücke
zwischen Vergangenheit und Zukunft sein. Durch Nutzung aller äußeren
und inneren Entdeckungen wird Auroville zukünfigen Verwirklichungen
kühn entgegenschreiten.
- Auroville wird der platz
materieller und spritueller Forschung für eine lebendige
Verkörperung einer wirklichen menschlichen Einheit sein.
Stand heute leben dort etwas mehr als
2700 Einwohner aus über 50 Nationen, wobei das ganze Konzept der
Stadt auf 50.000 Einwohner ausgelegt ist. Im Zentrum der Stadt
befindet sich der sogenannte
Matrimandir, der „Tempel der
Mutter“, der als spiritueller und sakraler Hauptort der Anlage
dient. Von diesem weg soll sich der Rest der Stadt in Form einer
Spiralgalaxie erstrecken. Bis heute sind jedoch erst Teile des
Landes, das für den vollständigen Ausbau Aurovilles vorgesehen ist,
erworben worden. Grundlage des Zusammenlebens ist der Gedanke, gegen
Mithilfe am Gemeinwesen einen monatlichen Unterhalt zur Bestreitung
der Lebenshaltungskosten zu erhalten. Weitere Konzepte, wie die
Nichtnutzung von Geld konnten allerdings nicht verwirklicht werden.
Alles in allem muss ich sagen, dass mich die
Anlage und die dahinter stehende Grundidee zutiefst beeindruckt hat.
Allerdings nimmt die von Sri Aurobindo entwickelte yogische Lehre
einen überaus großen Stellenwert ein, ebenso wie die Verehrung der
„Mutter“ Mira Alfassa, sodass gelegentlich der Eindruck entsteht,
es fast schon mit einer Sekte zu tun zu haben. Der Ort hat sich zu
einer Anlaufstelle für Aussteiger allerlei Art entwickelt, was auch
den hohen Anteil an Franzosen und Deutschen an den Bewohnern erklärt.
Da ich gestehen muss, selbst kein sehr spiritueller Mensch zu sein,
fand ich die Atmosphäre hin und wieder auch befremdlich.
Nach meiner Rückkehr nach Thazhuthali
fuhr ich am Dienstag noch einmal nach Pondicherry und besichtigte
dort den Sri Aurobindo Ashram und das Pondicherry Museum. Im besagten
Ashram lebte und lehrte der bengalische Agitator und Mystiker Sri
Aurobindo ab 1910 nach seinem Gang ins Exil, da er wegen seines
Engagements für die indische Unabhängigkeit wiederholt in Konflikt
mit den britischen Behörden geraten war. In den Jahren zuvor hatte
Aurobindo, der seine Bildung in Großbritannien erhalten hatte, sich
immer mehr der hinduistischen Mystik zugewandt, auf deren Grundlage
er schließlich seine eigene Philosophie entwickelte, den „Integralen
Yoga“. Nachdem er sich bereits 1926 weitestgehend aus der
Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und mit seinen Schülern nur
noch über Briefwechsel kommunizierte, verstarb er Ende 1950 im
Ashram, in dem er und auch Mira Alfassa, die lange Zeit seinen
„Haushalt“ (nichts anderes bedeutet „Ashram“) führte,
beigesetzt sind. Der Kult um diese beiden Personen nahm hier noch
ausgeprägtere Züge an, am Grabmal der beiden fand ich unzählige
Menschen meditierend vor. Gleichwohl muss ich anmerken, dass der
Ashram auch ein Ort von beeindruckender Ruhe ist und man sich gut
vorstellen kann, wie Sri Aurobindo hier die Grundsäulen seiner Lehre
entwickelte.
Das Pondicherry Museum wartet dagegen
mit weit weniger spektakulärem Hintergrund auf, aber doch besitzt es
einige sehenswerte Exponate. Allerdings machte die Sammlung, um es
mit Louis' Worten auszudrücken, den Eindruck, als haben „die
Museumsgründer bei der Zusammenstellung der Exponate ordentlich
ihren Dachboden entrümpelt“. Unter anderem fanden sich dort
Relikte, die den Handel mit den Römern nachweisen sollen (es
scheint, als habe halb Indien mit den Römern Handel getrieben, mag
man den Museen Glauben schenken), Funde aus einer nahegelegenen
Ausgrabungsstätte, koloniale Waffen, internationale, historische
Münzen und Bronzeplastiken. Auch wenn die Sammlung im Vergleich zum
Government Museum in Chennai klein war, so hat sich der geringe
Eintrittspreis doch alleine deswegen gelohnt, um eins der
Kolonialgebäude einmal von Innen betrachten zu können.
Am Mittwoch schließlich machte ich
mich auf den Heimweg zurück nach Chennai, dass ich auch am frühen
Nachmittag erreichen sollte. Ich muss sagen, dass Pondicherry mir
sehr gefallen hat, gerade weil sie keine „typisch indische“ Stadt
ist, sondern Elemente aus unterschiedlichen Kulturkreisen vereint,
was typisch nicht nur für die Architektur, sondern für die
Mentalität der Stadt im Allgemeinen zu sein scheint.